«Paulus hat als Sohn seiner Zeit zu seinen Zeitgenossen geredet. Aber viel wichtiger als diese Wahrheit ist die andere, daß er als Prophet und Apostel des Gottesreiches zu allen Menschen aller Zeiten redet. Die Unterschiede von einst und jetzt, dort und hier, wollen beachtet sein. Aber der Zweck der Beachtung kann nur die Erkenntnis sein, daß diese Unterschiede im Wesen der Dinge keine Bedeutung haben.» Mit diesen Sätzen beginnt Karl Barths Vorwort zum Römerbrief-Kommentar, ein Buch, das in seinerzweiten, durchgängig neu bearbeiteten Auflage von 1922 die Theologie des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert hat.
Der Brief an die Römer steht - als eine Art >>Testament des Paulus<< -
am Beginn der neutestamentlichen Sammlung paulinischer Briefe. Er enthält
im 13. Kapitel die im Christentum vielfach missbrauchte Aufforderung zum
Gehorsam gegenüber staatlicher Gewalt, denn >>jede ist von Gott eingesetzt<<
(Röm 13,1). Dagegen versteht Barth als Kern der paulinischen Theologie
- hierin dem Reformator Johannes Calvin folgend - den >>unendlichen qualitativen
Unterschied<< zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch, Jenseits und Diesseits;
ausgeschlossen ist jegliche >>Vereinnahmung<< Gottes. Die Begegnung mit
Gottes Wort führt zur Erschütterung des Menschen angesichts der unüberbrückbaren
Trennung zwischen dem Begrenzten und dem Unbegrenzten, zwischen Zeit und
Ewigkeit: >>Gott ist im Himmel und du auf der Erde.<<