«Mit verspielter Heiterkeit vorgetragene Betrachtungen», nannte Samuel Widmer seine Ausführungen in Stell dir vor, Du wärst ein Stück Natur. Treffend beschrieb er damit seine humorvolle und doch ernsthafte Art, tief in die Seinsart und das psychische Funktionieren des Menschen zu blicken. So wie der Titel des Buches, inspiriert durch ein Graffiti in der Solothurner Vorstadt, aus dem Leben gegriffen ist, ist es auch Widmers Schreiben: Er reiht Gedanken, Vorträge, Fallberichte, metaphorische Geschichten und Einblicke in sein persönliches Leben unzensiert aneinander und lässt den Leser unmittelbar teilhaben an dem, was ihn beschäftigt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf seinem lebenslangen Erforschen der Psycholytischen Psychotherapie. Dieser widmete er sich u.a. als Gründungsmitglied verschiedener (Ärzte-) Gesellschaften und im Rahmen Psycholytischer Psychotherapien mit MDMA und LSD, die er von 1988 bis 1993 mittels einer Spezialbewilligung in seiner Praxis durchführte. In "Stell dir vor, Du wärst ein Stück Natur" beschreibt er ihre Wirkmechanismen und differenziert zwischen der Psycholyse als Psychotherapie oder als Hilfsmittel, einen radikalen, transformatorischen Prozess einzuleiten. Denn: Psycholyse verhelfe dem, der sich dafür öffnet, zum Durchbruch ins Lebendigsein. Damit ist das Thema aktueller denn je: Immer noch wird das Natürliche und Lebendige in uns und in der Welt kontrolliert, beschnitten, bekämpft und verurteilt. Immer noch meinen wir, uns vor der Tatsache verschliessen zu können, dass wir ein Stück Natur sind. Deshalb sind auch die psycholytischen Hilfsmittel bis heute mit einem massiven Tabu belegt. Samuel Widmers Lebenserfahrung zeigte dies eindrücklich - und er hatte Verständnis dafür: In seiner Angst vor allem Lebendigen, versucht der Mensch diese Botschafter des Lebens zu unterdrücken oder wenigstens zu kontrollieren, so dass die Psycholytische Psychotherapie zwar allmählich im kontrollierten, abgesteckten Rahmen stattfinden darf, deren Nutzung um ihres transformatorischen Potenzials wegen jedoch weiterhin verfolgt wird.
"Stell dir vor, Du wärst ein Stück Natur" bildet mit "Von der Unerlösten Liebe zwischen Vater und Tochter" (Basic Editions, 3. Auflage 2018) ein Doppelwerk. Während der erste Band das Tabu, energetische Wirklichkeit wahrzunehmen - das sogenannte Inzesttabu - und die unterdrückte Sexualität und Lebensfreude in uns beleuchtet, geht es in diesem zweiten um die Psycholytische Psychotherapie.